--- Inhalt & Kritik --- Geschieden und um einige Erfahrungen reicher veröffentlicht Katy Perry ihr drittes kommerzielles Studioalbum PRISM, das sie als Geburt eines neuen Ichs ankündigt. Fort sind violette Perücken und frivole Songtexte. An deren Stelle tritt eine selbstbewusste junge Frau, die mit mehr Tiefgang auf sich aufmerksam machen möchte. Dieser Umbruch scheint zunächst gelungen zu sein, landet sie mit der ersten Auskopplung ROAR einen der erfolgreichsten Hits im Jahr 2013, was wohl dem eingängigen Refrain zu verdanken ist, der zum Mitgrölen einlädt: "You gonna hear me rooooar". Sie singt davon, dass sie eine Kämpfernatur ist und jeder nimmt ihr das gerne ab. Ansonsten lehnt sich PRISM thematisch an die Vorgängeralben ONE OF THE BOYS und TEENAGE DREAM an, wobei die Texte etwas reifer klingen und weniger überdreht wirken. Wie üblich singt Katy also Balladen über das Verliebtsein (UNCONDITIONALLY, DOUBLE-RAINBOW), das Verlassenwerden (GHOST), beschreibt ihr Jetsetleben, das von Rastlosigkeit bestimmt wird (INTERNATIONAL SMILE) und versichert sich, ein gutes Selbstwertgefühl zu haben ("who I am is who I'm meant to be": LOVE ME). Melodisch tritt ihr loyaler Hitproduzent Dr. Luke immer mehr in den Vordergrund und arrangiert Katy unter anderem einen Song, der aus dem Jahr 1992 stammen könnte und für den höchstwahrscheinlich Madonna Patin stand. WALKING ON AIR, einer der Höhepunkte auf PRISM, klingt wie ein Mischmasch aus DEEPER AND DEEPER, VOGUE und RESCUE ME, der sogar eine textliche Referenz an die Popqueen aus dieser Zeit enthält: "You read me like erotica". Man könnte wirklich denken, Shep Pettibone wäre am Werke gewesen. Weit her kann der Vergleich eh nicht sein, hat Katy Perry Madonna als Inspirationsquelle ihres vorherigen Werkes TEENAGE DREAM genannt. Kompositorisch ähnelt es dem Vorgänger stark, schwimmt man immer noch auf der Revivalwelle der 80er. Das hochsynthetische Intro von THIS MOMENT wurde so programmiert, als wäre es genau zu dieser Zeit entstanden. Neumodische Beats und Gitarrenklänge von Katys derzeitigem Lebensabschnittspartner John Mayer gesellen sich in der Mitte dazu und zeigen die Stärke von Stargate auf, der an diesem Titel mitgewerkelt hat. Zugegebenermaßen klingt nichts auf diesem Album besonders neu oder originell, was die Melodien betrifft, aber die vielen Köche wissen einfach den Brei nicht zu verderben. Sie zaubern ein durchgängig hörbares Popalbum, dessen Lichtblicke aber vor allem moderate Hip-Hop-Elemente ausmachen. Der Stimmungsmacher THIS IS HOW WE DO erzählt von durchzechten Partynächten und bildet das einzige abgedrehte Überbleibsel der TEENAGE DREAM-Zeit. Zu energisierten Synthies und einem treibenden Beat trägt Katy ihren Sprechgesang vor, der sehr charmant endet: "No, no, no, bring the beat back". Gesagt, getan, diesen Song wird man sicherlich am häufigsten hören. Noch Hip-Hop-lastiger kommt DARK HORSE daher, das sogar eine mystische, wenn nicht sogar verheißungsvolle Komponente besitzt. Katy zieht die Hörer wie ein schwarzes Pferd der Apokalypse in ihren Bann: "Are you ready for, ready for, a perfect storm, a perfect storm?" Perfekter Sturm ist wohl die Verbildlichung von Katy Perrys PRISM, das vor allem den Popverfechtern überproduziert erscheinen wird. Diese werden aber wohl kaum zur Zielgruppe von Katys Hörerschaft gehören... --- Die Doppel-Vinyl --- In den Händen haltend macht diese Hülle viel her. Die PRISM-Papphülle ähnelt von der Aufmachung her jener der Deluxe-CD. Die glänzenden Buchstaben auf dem Cover brechen sich im Licht und machen dem Albumtitel alle Ehre. Klappt man die Verpackung auf, kann man sich an einer wunderschönen Aufnahme Perrys ergötzen, in der sie von einigen Schmetterlingen umhüllt wird, die wohl ihren Imagewechsel vom Post-Teenager zur vollständig herangereiften Erwachsenen symbolisieren soll. Auf den Schutzhüllen der beiden 180-Gramm-Schallplatten ist auf einer Seite jeweils ein weiteres atemberaubend schönes Foto von Katy Perry abgebildet. Der anzügliche Blick von früher ist auf allen verschwunden. Die andere Seite der Schutzhüllen wird von den Songtexten der 16 Titel (ja, richtig gelesen, alle Songs der Deluxe-CD wurden auf das schwarze Gold gepresst) in Anspruch genommen, was lobenswert erscheint. Dem Vinylset von TEENAGE DREAM wurden bedauerlicherweise keine Lyrics beigegeben. Dass Schallplatten immer besser als die im Sound komprimierten CDs klingen, ist hinlänglich bekannt. Erst auf Vinyl können die gut produzierten Stücke ihre Dynamik entfalten. Das beste Beispiel liefert gleich die erste Auskopplung ROAR. In den Strophen kann ein fühlbarer Tiefenbass vernommen werden, der sauber um Katys Gesang spielt. Wenn der Refrain naht, wird es auf einmal viel lauter, ganz nach ihrer Devise "louder than a lion". Auf der LP erscheint ROAR eindrucksvoller und - den Inhalt betreffend - authentischer, wenn Katy richtig losröhrt. Die MP3-Datei, die man beim Kauf auf Amazon automatisch als AutoRip mit erwirbt, weist diese drastischen Lautstärkeunterschiede nicht auf, was mehr als schade ist. Dynamik macht doch Musik erst zu dem, was sie ist. --- Fazit --- Rechnet man alles zusammen, legt Katy Perry mit ihrer dritten Platte PRISM gut produzierte Popmusik vor, die man von ihr gewohnt ist und die sich wunderbar in die derzeitige Chartwelt einreiht. Allerdings klingt sie dadurch, dass sie das letzte Stück Rockigkeit von ONE OF THE BOYS eingebüßt hat, wie ihre Kolleginnen Lady Gaga oder Britney Spears. PRISM könnte auch ihnen gut stehen. Das Schlimmste ist jedoch, dass sie ihr Alleinstellungsmerkmal verloren hat, indem sie nun die ernste Powerfrau markiert: Ihre liebenswert-charmante Koketterie, die den Namen Katy Perry einst definiert hat, ist kaum noch spürbar. Dieser Verlust bedeutet eigentlich mehr als einen Stern weniger in der Endwertung. Der warme Klang, die ansprechende Hülle und das Vorhandensein aller 16 Titel der Deluxe-CD geben dem Vinyl-Set jedoch seinen vierten Stern. Weiterlesen